waldsichten 2022

Der Wald ist Sinnbild für romantische Sehnsüchte, Sportplatz, Erholungsgebiet und Pandemieflucht. Er ist Zuhause für eine Vielfalt an Lebewesen, Holzproduzent und vieles mehr. Diese zahlreichen Ansprüche bieten üppiges Konfliktpotential. Künstlerinnen der GEDOK Stuttgart begeben sich in Kooperation mit Forst BW in den Rotwildpark und bereichern die Diskussion durch künstlerische Arbeiten vor Ort. In der GEDOK-Galerie zeigen sie eine Reflektion dieses Feldversuchs. Die dokumentarische Ausstellung fängt die Wirkung der Kunstwerke im Wald ein.

 
Mit: Nicole Eitel, Bärbel Helfrich, Tiina Kirsi Kern, Bettina Kohlen, Monika Kurz-Werner, Svenja Rehse, Ulrike Rinnert, Gudrun Sämann, Rita Thoma, Nicole Walger


 

Ein Thema - drei Ausstellungen 

02. + 03.07.2022
12 - 17 Uhr
Rotwildpark Stuttgart
Zwischen Bärenschlössle und Parkplatz
Solitudetor


22. – 24.07.2022
Vernissage: Do. 21. Juli I 19.30 Uhr
Programmpunkt Fr. 22. 07. I  18 Uhr
"Wald im Stress"  Vortrag von Stephan Nowak, Forstwirtschaftsmeister und Waldpädagoge
Weitere Öffnungszeiten:      Freitag 16–20 Uhr
                                             Samstag 14–19 Uhr
                                              Sonntag 11–17 Uhr
GEDOK-Galerie, Hölderlinstr. 17, Stuttgart 
 


 23.10.2022
Haus des Waldes Stuttgart
Sinneswandel-Weg
11 - 17 Uhr

Einladung

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Eröffnung „Wald Sichten“, 21. Juli, GEDOK-Galerie
Einführung von Vivien Sigmund

Wie heißt es doch so schön: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es wieder heraus“.
Darum sollte man sich eben gerade nicht wie die Axt im Wald benehmen. Sonst könnte man
ja gleich Holz in den Wald tragen. Sie sehen, in unserer Sprache hat der Baumbestand
Konjunktur. Zwar fungiert der Wald in diesen Binsenweisheiten meist nur als schnöder Echo-
Raum für das Allzumenschliche, aber die verbalen Verflechtungen zwischen Mensch und
Baum sind doch durchaus augenfällig. Ein Tor, wer hier den Wald vor lauter Bäumen nicht
sieht.
Die Deutschen und ihr Wald, das ist ohnehin eine eigene Geschichte, seit der römische
Dichter Tacitus die struppigen Germanen mit dem wildwüchsigen Urwald auf dem
germanischen Boden kurzerhand gleichgesetzt hat. So wirklich positiv wurde das Verhältnis
erst in der Romantik, aber da dann dafür so richtig. Aus struppig wurde stolz urwüchsig und
der Wald prompt zum identitätsstiftenden Symbol.
Der Baumbestand aber ist weit mehr als ein reiner Spiegel unserer Seele. Er ist für unser
Überleben existenziell. Ein Blick zurück beweist es: Nachdem sowohl die Maya im heutigen
Honduras als auch die Bewohner der Osterinsel ihren letzten Baum gefällt hatten, gingen die
Kulturen unter. Die Erosion vernichtete die Lebensgrundlage. So nachzulesen im Buch
Kollaps von Jared Diamond. Und da sagt mancher, man könne aus der Geschichte nicht
lernen.
Und was ist der Wald nun heute? Das alles und noch viel mehr. Ich sage nur Waldbaden,
Waldsport, Waldkindergarten, Waldbestattung. Aber auch Forstwirtschaft. Und leider auch
Hambacher Forst. Klimawandel, Hitze-Tod, Waldbrand. Der Wald, ein Multitool und
Sorgenkind. Unser Verhalten, eine krude Mischung aus Hochachtung und Missachtung.
Keine Grundlage, sich einen Ast zu lachen, eher ist Zittern wie Espenlaub und Pfeifen im
Walde angesagt. Aber das hilft so gesehen auch nicht wirklich weiter.
Daher am allerbesten: Wald sichten. So der Titel dieser Ausstellung, in der zehn Künstlerinnen genau das tun: dem Wald auf den holzigen Zahn fühlen. Damit in Zukunft kein Schweigen im Walde mehr herrscht, sondern man sinnlich und intellektuell erfahren kann, welche Bedürfnisse genau Mensch und Wald nun eigentlich haben. Das muss doch unter eine Krone zu bringen sein ohne dass ein Zacken aus derselben bricht.
Teil eins dieser dreiteiligen Ausstellung war Anfang Juli bereits im Rotwildpark beim
Bärenschlössle zu sehen. Eine der Naherholungshochburgen für Stuttgarter Jogger,
Spaziergänger und Familien. Die vor Ort entstandenen Arbeiten sind nun – als
Dokumentation oder in Natura – in die urban eingebettete Galerie gewandert. Im Oktober
werden sie dann nochmals im Haus des Waldes zu sehen sein.

Nicole Eitel

Im übertragenen Sinne legt Nicole Eitel das Material Holz auf die berühmte Goldwaage, in
dem sie die Sägefläche eines gewöhnlichen Holzpolters am Wegesrand mit Blattgold
bestreicht. Dadurch stellt sie unsere Wertvorstellungen in Frage. Wird Holz wertvoller durch
Gold oder andersrum? Und warum? In der Arbeit „Zuwendung“ spendiert sie einer
Aussichtsbank ein Double, das den Blick des Sitzenden in den Wald lenkt. Denn sollte der
Wald im Wald nicht eigentlich der Protagonist sein?
Bärbel Helfrich
Die Rinde von Bäumen ist tatsächlich ein herrlich schrundiges, individuell gezeichnetes
Äquivalent zur Haut. Ist sie verletzt, ist der Baum in Gefahr. Stürme, Hitze und menschliches
Unwissen setzen der Baumhaut zu. Mit überdimensionierten Pflastern verweist Bärbel
Helferich humorvoll auf die Schutzbedürftigkeit der sanften Großgehölze und gleichzeitig auf
die traurige Vergeblichkeit von Reparaturmaßnahmen bereits entstandener Schäden.
Tiina Kirsi Kern
Für heutige Generationen sind Kassetten mysteriöse Relikte einer vergangenen Zeit. Dabei
existieren viele Kassetten noch immer. Als romantisch aufgeladener Müll. Tiina Kirsi Kern
rettet die Kassetten vor der Müllverbrennung und cyclet sie up zu Kissen, Wandarbeiten,
Kunstobjekten. Und kommentiert damit unseren nach wie vor viel zu laissez-fairen Umgang
mit wertvollen Ressourcen.
Bettina Kohlen
Der Mensch, ein Platzhirsch. Wo er auftaucht, wird es eng für unsere pelzigen und
gehörnten Freunde. Darauf verweist Bettina Kohlen mit ihren Keramiktieren. Spuren
hinterlässt er auch, der zivilisierte Mensch, der sich den Po, anders als die wilden Tiere, mit
Taschentüchern reinigt, nach der Geschäftsverrichtung. Nur dass Taschentücher, die
heutzutage in der Waschmaschine nicht mehr über die gesamte Waschladung flusen – ein
Segen -, sich in der Natur leider auch erst nach 5 Jahren zersetzen – man könnte sagen, ein
Fluch.
Monika Kurz-Werner
Der Wald ist nicht nur Missbrauchsopfer und Patient, er ist auch schlichtweg wunderschön.
Der Mensch ist Meister der Verdrängung, vielleicht aber ist sein Herz empfänglich für die
einzigartigen Strukturen und komplexen Verknüpfungen der Natur. Monika Kurz-Werner
schafft textile Kunstwerke, die die formale Anmut des Waldes, die Jahresringe und
Astgeflechte, in Kunst übersetzen und uns so ästhetisch nahebringen, was wir zu verlieren
drohen.
Svenja Rehse
Eine Auswahl an Hüten und Masken symbolisiert die Bewohner*, Besucher*,
Bearbeiter*innen des Waldes. Als interaktives Angebot waren diese Accessoires im Wald
verteilt und durften von den Gästen anprobiert werden. Ein Rollenspiel der nachhaltigen Art.
Wie fühlt man sich als Försterin, Fuchs, Fahrradfahrer im Waldesgrün? Fotos und Texte
erzählen von diesem die Perspektiven verschiebenden „Bäumchen-Wechsel-Dich“-Spiel.
Ulrike Rinnert
Das bestickte und bemalte grüne Dreieck im Büchlein von Ulrike Rinnert wird nach und nach
verdrängt von bunten metallisch glänzenden Spitzen. Unsere Hochglanzwelt, sie siegt über
die Natur und zurück bleibt Plastik, das man nicht essen und schon gar nicht atmen kann.
Das zweite Büchlein ist eine Einladung. Wenn Sie alle an den Wald denken, was sehen Sie
dann?
Gudrun Sämann
Die Mullbinden, die Gudrun Sämann um die Bäume geschlungen hat, haben zwei
Bedeutungen. Sie fungieren einerseits als metaphorischer Verband für unsere geschundene
Natur. Sie symbolisieren aber auch die gelinde gesagt unglaublichen
Kommunikationsmethoden der Bäume, die via Pilzgeflecht und Duftstoff – quasi Faserkabel
und WLAN – miteinander Kontakt halten. Vielleicht teilen sie ja die Gedichte, die Sämann im
Holz versteckt oder diskutieren ihre vorwitzigen Buchstabensaaten.
Rita Thoma
Lassen wir Corona einmal außer Acht, dann sage ich ganz herzlich: Danke für Ihr CO2! Denn
wäre ich ein Baum, dann würde ich jetzt fröhlich Sauerstoff produzieren und unser aller
Atmosphäre und Lebensgrundlage schaffen. Auf diese unsichtbare Symbiose zwischen
Mensch und Baum geht Rita Thoma in ihren Arbeiten ein. Und dass Innen und Außen nicht
zwingend analog ist, zeigen ihre formbaren Filzgefäße, die die Farbstoffe von Eiche, Fichte,
Brombeere und anderen Waldpflanzen tragen, die mit den wahrnehmbaren Farben der
Pflanzen recht wenig gemein haben.
Nicole Walger
Symbolisch steht das Nest für alles Heimelige, Wohlbehütete. Es schützt vor allem
Ungemach, das von außen droht. Nicole Walger nun baut Nester aus genau diesen widrigen
Umständen. Sie sammelt all den Müll und Unrat, den erholungssuchende Spaziergänger so
achtlos im Wald fallen lassen, und formt daraus die zarten Schutzkokons, in denen neues
Leben geborgen wachsen soll. Bald kann sich der Nachwuchs einkuscheln in Polyester,
Polyethylen und Polyamid. Eine reale Dystopie im subversivem Tarnkleid.

©ForstBW

©Gedok Stuttgart

©Haus des Waldes